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24.11.2009

Zwischen zwei Haltestellen (3)


Wir reisen mit der Bahn in den Süden. Wir steigen ins Ruheabteil ein, der Ort im Zug, wo Ruhebedürftige normalerweise ungestört lesen, schreiben oder schlafen können:



Der Ruhewagen ist gut besetzt. Zuhinterst hat eine junge Frau zwei Viererabteile belegt. Eines braucht sie für sich selbst und ihr zahlreiches Handgepäck. Das andere für ihren riesigen Koffer. Wir bitten sie, diesen wegzunehmen, damit wir uns hinsetzen können. No, no, das gehe nicht, da sie nirgends sonst einen Platz finde, erklärt sie uns auf Italienisch.
"Dann nehmen Sie ihn zu sich ins Abteil!", meint Hausmann Hanna kurz und knapp. Das befolgt die Signora auch sofort, und weil der Koffer den ganzen Raum zwischen den Sitzen ausfüllt, muss sie ihre langen Beine etwas unkomfortabel quer darüber legen.
Wir haben uns eben im freigewordenen Abteil eingerichtet und Buch und Zeitung liegen bereit, als ein Natel schrillt.
 "Pronto! Mammmmma!!!" Und dann geht es in schnellem Italienisch weiter. Genervt aber auch leicht geniert stehe ich auf und gehe zur Signora ins Nachbarabteil. Ich zeige auf das Piktogramm und schlage ihr vor, sie solle doch draussen im Gang ihr Telefongespräch fortsetzen. Sie schaut mich verwundert an, hört jedoch sofort auf zu sprechen. Sie versorgt das Natel in der Tasche, holt dafür einen aufblasbaren Halskragen hervor und bettet ihren Kopf hinein. Dann steckt sie sich die Stöpsel des iPods in die Ohren, drapiert einen Pashimaschal um sich und döst ein.
In Bellinzona müssen wir umsteigen. Und machen das so leise, dass die Signora ungestört weiterschlummern kann...

PS. Leider sind solche Geschichten bald Vergangenheit, da die Ruheabteile von der SBB ab Mitte Dezember aufgehoben werden.
PPS. Zumindest in der billigeren 2.Klasse...


4 Kommentare:

  1. Was du beschreibst, ist nicht schön. Aber es wundert mich nicht. Seit Langem bemerke ich, wie es immer schwerer fällt zur Ruhe zu kommen. Stille im Gottesdienst zum Beispiel ist ja für viele "von Orgel untermalte redefreie Zeit". Aber eben das ist keine Stille. Und Ruhe halten auch nur wenige aus, ohne nervös zu werden. (Was manchmal auch auf mich zutrifft...)
    Herzliche Grüße, Jörg

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  2. Ich seh' das etwas differenzierter...

    Die SBB sind eigentlich ein Transportunternehmen, der Aufgabe es ist, Personen von A nach B zu transportierten.

    Das Billet berechtigt nur zum Transport in der jeweiligen Klasse. Das heisst, es beinhaltet eigentlich nur den Transport. Es gibt keinen Anspruch auf einen Sitzplatz (welchen man reservieren kann und etwas zusätzlich kostet) oder mehr.

    Dieses «Mehr» geht soweit, dass man heute einen Wickeltisch in den meisten Zügen vorfindet. Oder Business-Abteile. Oder eine Rutschbahn im Familienwagen. Oder Ruhe-Abteile. Oder eine Telefonkabine (das war vor dem Aufkommen der Handys). Oder...

    Hinzu kommt noch das «Mehr», das wir selber aus dem gegebenen Raum machen: Schlafwagen, Bibliothek, Mittagstisch, usw.

    Es gibt heute soviel mehr, dass wir manchmal vergessen, wofür wir eigentlich zahlen; nämlich nur für den Transport. Insofern ist es schon eine starke Leistung, was die SBB vollbringen.

    Diese haben immer auch gegen die gesellschaftlichen Phänomen zu kämpfen, welche sie selber gar nicht verursacht haben. So waren die Ruheabteile ja eigentlich eine Reaktion über die überlauten Handy-Nutzer. Oder die Videoüberwachung ist eine Reaktion auf den Vandalismus.

    Dass man nun die Ruheabteile wieder abschafft, ist eben auch eine Reaktion auf diese gesellschaftlichen Phänomene, namentlich der Nicht-Respekt vorgegebener Regeln...

    Ich vermute, dass in absehbarer Zukunft all diese Mehrs jeweils nur gegen einen Aufpreis möglich ist...

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  3. Hausfrau Hanna25.11.2009, 09:40:00

    Lieber Titus,
    danke für deine differenzierten und zugleich pragmatischen Gedanken und Ausführungen. Ich verstehe sehr wohl, was die SBB an Leistung(en) vollbringt. Aber immerhin ist die SBB ein Dienstleistungsbetrieb und der sollte schon präsent sein für seine Kunden. Und zu denen gehöre ich nun mal. Und zwar ausschliesslich und zu jeder Zeit. Wenn ich daran denke, was alles für den Individualverkehr getan wird, bzw. was dieser a l l e Steuerzahler(auch mich, die ich nicht Auto fahre) kostet... dann finde ich es nicht mehr als richtig, uns umweltfreundliche Bahnbenützende als Kunden mit Bedürfnissen wahrzunehmen.
    Schade! ich schätzte die Ruheabteile!
    Einen schönen Tag wünscht dir
    Hausfrau Hanna

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  4. Hausfrau Hanna25.11.2009, 10:08:00

    Lieber Jörg,
    ich schätzte diese Abteile wirklich sehr. Und manchmal habe ich dabei auch Situationskomik erlebt, so wie die hier beschriebene. Manche Fahrgäste wussten schlicht nicht (oder übersahen es), dass sie in den Ruhewagen eingestiegen waren...
    Ich denke, Ruhe und Stille müssen wir immer wieder 'einüben'. Schwer, auch für mich, aber wohltuend, wenn es hin und wieder gelingt...
    Einen schönen Tag mit vielen ruhigen Momenten wünscht dir
    Hausfrau Hanna

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