"Gallinae estis", sagte unser Lateinlehrer jeweils, wenn wir Mädchen wieder einmal die Zeit vergessen hatten und kichernd und plappernd zu spät in die Stunde kamen.
Gestern kam mir die liebevolle Titulierung wieder in den Sinn.
Ich hatte beim Schreiben dieses Beitrags die Zeit vertrödelt.
Genau um zwanzig nach elf drückte ich auf den Balken 'Post veröffentlichen'.
Und dann hechtete ich kopflos wie ein Huhn davon. Die Schuhe provisorisch gebunden, den Fotoapparat vergessen, immerhin mit Mütze und Schal am richtigen Ort.
Genau in dem Moment, als das Floss im Rauch der abgegebenen Böllerschüsse vorbeifuhr, galoppierte ich mit gelöstem rechtem Schuhbändel über die Brücke und sah zum ersten Mal den tanzenden 'Wilde Maa' nur von hinten...
Schwarzgewandete Ehrengäste in Reih und Glied, ausgerichtet wie Figürchen aus dem Töggelikasten, begleiteten den 'Wild Maa'. Zu ihrer Sicherheit waren sie eingekleidet in feuerrote Schwimmwesten, was einen optisch schönen Effekt gab. Dann nahm mir der Rauch wieder etwas die Sicht.
Ganz am Schluss rauschte dann noch mit städtisch vornehmer Zurückhaltung Attila vorbei.
Das Polizeiboot...
PS. Am Nachmittag war das Fotoapparätchen mit dabei.
PPS.Es war klirrend kalt. Und so schön, dass ich die Stimmung nicht wiederzugeben vermag. Das Bild mit dem 'Vogel Gryff' und dem tanzenden 'Wilde Maa' muss genügen.
PPPS. Soeben habe ich in der Tageszeitung gelesen, dass einer der Ehrengäste, Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, ebenfalls verspätetan den Anlass kam... ;)
Gegenüber befreien vier helmtragende Männer eine aus der Form gekommene Birke von den Ästen.
Ein kleiner Hund im warmen Mäntelchen trippelt mit seiner Frau über das glattgeeiste Trottoir.
Auf dem Balkon zeigt das Barometer minus 5 Grad.
Um 11 Uhr wird mir ein Gramseln über den Rücken laufen:
Der Wilde Maa, von Böllerschüssen begleitet, fährt auf dem Floss den Rhein hinunter.
Zusammen mit dem Vogel Gryff und dem Leu tanzt er anschliessend im Stadtteil auf der andern Seite des Rheins, und ich bin gefühlsmässig tief eingebunden in dieses archaische Ritual.
... ist ein Spruch, den jedes Kind hier kennt. Er wird gesagt, wenn man etwas nicht glauben mag. Und wahrscheinlich hört ihn jeder Fährimaa beim Hin- und Herfahren über den Rhein täglich. Schüttelt leicht genervt den Kopf und denkt sich seine Sache.
Was viele nicht wissen, der Spruch geht in Wirklichkeit weiter:
"...und vis à vis isch änedra.
Luegsch's vo dr andere Syten a."
Am sicheren Drahtseil verankert zum andern Ufer fahren und es mit offenen, unvoreingenommenen Augen betrachten. Aus der Distanz dann den Blick auf die gegenüberliegende Seite richten. Wahrnehmen, was ist. Die Augen werden ganz weich. Die Sicht auf die Dinge verändert sich.
Und aus dem so flapsig und leicht dahergeplauderten Spruch ergibt sich plötzlich eine Wahrheit mit tiefem Grund.
Erika Mann 'Die Zugvögel' Sängerknaben auf abenteuerlicher Fahrt, Alfred Scherz Verlag, 1959
Ich war ein dünnes Kind, weil ich anstatt Kalorien lieber Buchstaben und Bücher frass und verschlang. Der Lesestoff war vergnügliche, schöne Nahrung und gab mir ein behagliches Sättigungsgefühl. Ich besass viele Bücher, die ich alle von meinem Götti geschenkt bekam.
Ich bin ihm heute noch dankbar.
Nun, alle meine Kinder- und Jugendbücher wurden von emsiger Hand irgendwann entsorgt...
Nur eines blieb mir, vergilbt zwar, aber sonst ganz sauber und ohne ein einziges Eselsohr.
Soeben habe ich es nochmals in einem Zug durchgelesen, das Buch über den Knabenchor, das Erika Mann geschrieben hat. Sie war nicht nur die älteste Tochter von Thomas Mann, sondern auch eine intelligente, mit vielen Talenten ausgestattete und erfolgreiche Frau. Aber sie trug auch die Hypothek, als erstgeborenes Kind nur ein Mädchen zu sein, und sie lebte immer im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und der Last des grossen Namens im Lebensrucksack.
Der frischgebackene Vater schrieb übrigens nach Erikas Geburt, 1905, folgende gefühlvollen Zeilen an seinen Bruder Heinrich:
"Es ist also ein Mädchen: eine Enttäuschung für mich, wie ich unter uns zugeben will, denn ich hatte mir sehr einen Sohn gewünscht und höre nicht auf, es zu thun. Warum? ist schwer zu sagen. Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen. Oder so."
PS. Ich konnte mit Thomas Mann, dem Schriftsteller, in meiner Schulzeit nicht viel anfangen, zu bourgeois und dekadent erschienen mir 'Die Buddenbrocks' und 'Der Tod von Venedig'.
PPS. Hätte ich diese seine Zeilen damals schon gekannt, ich hätte vor Zorn geschäumt.
Es gibt Filme, die sind eine herbe Enttäuschung, wenn man sie nach vielen Jahren wieder sieht. Nicht so dieser.
Gestern geriet ich beim Herumdrücken durch die Kanäle zufällig hinein in die Handlung des irischen Films von 1991 - und ich war sofort wieder fasziniert von der frischen Machart, der Soulmusik, dem Spiel der jungen SchauspielerInnen und SängerInnen. Der Frontsänger mit der souligen, reifen Stimme, Andrew Strong, war damals erst 17 Jahre alt:
In Wirklichkeit war alles beeindruckender.
Im strömenden Regen standen wir, eng aneinander geschmiegt, unter dem Regenschirm und schauten uns Jenny Holzers Lichtinstallation an.
Was ich im Innenraum des Museums als nervig empfunden hatte, diese rasantschnellen Leuchtschriften, denen meine Augen fast nicht zu folgen vermochten nämlich, hatte im Aussenraum eine völlig andere Wirkung: Die leuchtenden Sprüche bewegten sich langsam und gleichmässig das hügelige Gelände empor, kletterten an der Häuserzeile hoch und verschwanden dann hoch oben in den Dachgiebeln. Damit auch kein gemütlicher Lampenstrahl vom Innern der Wohnräume das Geschehen im Aussen stören konnte, waren die Fenster mit Abfallsäcken überklebt.
So zumindest wurde es mir gesagt...
'LÄRM IST AGGRESSION'
'KRANKHEIT FINDET IM KOPF STATT'
PS. Diese beiden Sprüche müssen genügen zur Gedankenanregung. PPS. Alle andern sind mir entfallen...
Kürzlich, ich bin ohnehin nicht in bester Stimmung, wirft der Vergrösserungsspiegel im Bad ein Bild zurück, das mich zusammenzucken lässt: "Hausfrau Hanna, jetzt reicht's !"
Ich krame in der Schublade nach den beiden vorsorglich aufbewahrten Werbezetteln des Grossverteilers, der eine mit der fetten Überschrift:
"Was einer amerikanischen First Lady für über 300 Dollar pro Tübchen nützt und sie so blendendfrisch aussehen lässt, kann einer Schweizer Hausfrau nicht schaden", denke ich, "und immerhin ist hier das Tübchen vergleichsweise ein Schnäppchen und kostet nur Fr. 29.50. Minus den beigefügten Gutschein von 5 Franken."
Schon stehe ich beim Grossverteiler vor den Reihen mit den Kosmetikartikeln. Die Regale sind alle gut gefüllt. Nur dort, wo sich das neue kosmetische Wundermittel aus den sauren, alten Äpfeln hätte befinden sollen, herrscht...........gähnende Leere.
"Hausfrau Hanna, es hat nicht sollen sein", sage ich halblaut zu mir. Und da ich an solche alltäglichen Zufälle glaube, gehe ich nach Hause und klebe einen Spruch an den Badezimmerspiegel:
"With mirth and laughter let old wrinkles come!"
PS. Der Spruch ist immerhin von William Shakespeare (from 'The Merchant of Venice')
Peter Zumthor ist Architekt.
Die von ihm entworfene Therme in Vals ist architektonisch nicht nur einzigartig und wunderschön, sie hat dank des sich im Wasserdampf brechenden Lichts und der raumfüllenden Klänge eine fast schon mystische Ausstrahlung. Nun wurde der renommierte Architekt, 12 Jahre nach der Eröffnung der Therme, mit dem höchsten Schweizer Architekturpreis ausgezeichnet.
Eine solche Ehrung finde ich bemerkenswert.
Noch bemerkenswerter finde ich folgende zwei Aussagen von Peter Zumthor. Er sagt von sich, dass er keiner sei, der für sich Reklame mache oder sich mit 'networking' beschäftige. Und beim Entwerfen der Therme habe er sich vorgenommen, dass dank der intim wirkenden Lichtverhältnisse auch ältere Gäste gut aussehen sollen...
Ihre Ausstellung in der Fondation Beyeler überwältigte mich. Es war ein anderes Überwältigtsein als bei Matisse etwa. Oder bei Van Gogh.
Nach Jenny Holzers Ausstellung fror es mich bis ins Mark. Und es benötigte einige Zeit, bis mir wieder warm wurde.
Nicht die schnellen, visuellen Effekte und Leuchtschriften waren es, die mich derart erschütterten: Es waren die Holztische, auf denen Knochen angeordnet waren.
Schulterblätter lagen da wie zarte, abgefallene Flügel. Daneben kräftige, unzerbrechlich scheinende Kreuzbeine. Auf einem andern Tisch dann Rippenbögen und Brustbeine, Oberschenkelknochen und Unterkiefer. Es war diese klare, emotionslos scheinende Anordnung, die mich zum langen Hinschauen zwang. Und mich den darunter liegenden Abgrund menschlicher Grausamkeit und männlicher Kriegsverbrechen spüren liess.
Gern hätte ich am Schluss dem Kurator und den Arbeitern die Frage gestellt, wie es für sie war, diese unter die Haut gehende Ausstellung aufzubauen. Und wie die Zusammenarbeit mit der Künstlerin war, die im Videobeitrag so zurückhaltend, pur und bescheiden erschien.
PS. Diese Woche wird eine Lichtprojektion von Jenny Holzer ganz in unserer Nähe realisiert. Und dann wird sich für mich Innenraum (Museum) und Aussenraum (öffentlicher Raum) zum Ganzen geschlossen haben.
Den Engel mit dem gelben und roten Flügel hat 'die Kleine' gebastelt.
Sie ist zehn und will Fussballprofi werden. Sie wünscht sich das nicht nur mit jeder Faser ihres Kinderherzens, sie trainiert auch in einem Club und spielt in einer Mädchenmannschaft.
Die Wände in ihrem Zimmer sind tapeziert mit Martha, Messi, Valentin Stocker und Zlatan.
Und dem FCB!
Nun sitzt sie am Mittagstisch und erzählt vom letzten Match in der Halle. Dabei kann sie ihre Finger nicht von der Streichholzschachtel lassen, bis alle Kerzen brennen und die Streichhölzer wie scharze Gerippe auf dem Tisch liegen.
"Wenn das nichts wird mit der Fussballprofikarriere, kannst du immer noch zur Berufsfeuerwehr gehen", sage ich. Die Berufswahl geht weiter: "Putzfrau ist kein toller Beruf!"
Ich setze eine kleine Korrektur: "Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem gepflegten, ruhigen Haushalt, wo ich mein Geld verdienen könnte und einer mühsamen, schwierigen Schulklasse, ich müsste nicht lange überlegen..."
'Die Kleine' denkt kurz nach, nickt und fährt dann ihre Charmegrübchen aus...
PS. Die englischen Aphorismen beim Engel sind von Jenny Holzer.
Den schönsten Schneetext hat Robert Walser geschrieben. Jedes Jahr, wenn Schnee liegt, lese ich ihn. Der zweitschönste ist Adalbert Stifters Erzählung 'Bergkristall'. Dann kommen mir auch schon die Kinderlieder in den Sinn: "Schneeflöcklein, Weissröcklein..." und
PS. Ich mache es heute wie die Buben. Zu Fuss und im Schnee unterwegs wünsche ich allen, die sich in die Wärme des Blogstübchens verirren, einen schönen Wintersonntag!
Es ist zwar schon lange her.
Trotzdem.
Auch die pragmatische Hausfrau Hanna hat schon die Dienste der hellsichtigen, hellfühlenden, in den Sternen lesenden Branche in Anspruch genommen.
Aufgezählt sind dies:
Eine Beratung bei einer Astrologin, eine Sitzung bei einem Hellseher und ein gechannelter Kontakt bei einem weiblichen Medium. Alle drei sind mir übrigens von guten, vertrauenswürdigen Bekannten empfohlen und als seriös gepriesen worden. Manchmal gibt es Lebenssituationen, die so schwierig sind, dass auch Hausfrau Hanna nicht weiter weiss.
Die prägnanteste Erinnerung habe ich übrigens an den Hellseher:
Er war ein offener, humorvoller und zugewandter Mensch. Unvergessen bleibt mir sein klangvolles, auf dem endlos scheinenden Ausatem mitschwingendes ommmmmmmmm.............................. .
Die Vibes lösten in mir ein hemmungsloses Lachen aus, das ich jedoch bezwingen konnte. Zugleich, und das fand ich ein bemerkenswertes Phänomen, sah ich mich geistig in den Höhen des Himalaya.
Nun, es liegt mir fern, eine der drei Personen zu verunglimpfen. Sie haben ihr Bestes getan. Weitergeholfen oder genutzt hat mir nichts davon. Geschadet jedoch auch nichts.
Immerhin.
Etwas jedoch habe ich begriffen: Es gibt im Leben keine Abkürzungen und schnellen Würfe. Das Leben will Schritt für Schritt gelebt und manchmal auch ausgehalten werden. Mit allem, was dazu gehört:
Mit beruflichen Unsicherheiten. Mit zwischenmenschlichen Krisen. Mit Schmerz und Krankheit. Mit der Trauer um geliebte Menschen.
All das braucht Zeit. Manchmal auch länger, als uns lieb ist...
...of Rock n'Roll, Elvis Presley, könnte heute seinen 75.Geburtstag feiern.
Ich bin nicht aufgewachsen mit seiner Musik und habe ihn auch bloss als schmachtenden Kerl mit bombastischen Nietenanzügen in Erinnerung.
Der junge Elvis hingegen war schon Klasse!
Und der 'Jailhouse Rock' Grund genug, mitzuwippen oder wieder einmal das Tanzbein zu verdrehen und abzurocken...
Heute Morgen sehe ich in der Dämmerung, wie links und rechts der Strasse ausrangierte Weihnachtsbäume auf die Gratisabfuhr warten.
Mir kommt der kleine Tannenbaum in den Sinn, mit dem ich als Kind so viel Mitleid hatte. Hans Christian Andersen beschreibt in diesem Märchen, wie ein kleiner Tannenbaum mit seinen Sehnsüchten und Wünschen als strahlender Mittelpunkt in der bürgerlichen Stube steht, bevor er dann ein trauriges Ende findet.
In Schweden werden die Weihnachtsbäume erst am 13. Januar, dem Tag des Heiligen Knut, aus den Häusern verbannt. Und da man die klingeldürren, nadelnden Tannengerippe nicht gern durchs Treppenhaus schleppt, wirft man sie kurzerhand zum Fenster hinaus...
IKEA verschiebt den Knuttag auf den 9.Januar vor und macht aus der Tradition einen einzigartigen Christbaum-Weitwurf-Event. Und erfreut gleichzeitig die Kunden mit massiven Preisabschlägen ("Wir schaffen Platz für Neues!").
PS. Also dann: Skål! Gott nytt År och god fortsättning!
Eure Hausfrau Hanna
"Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt."
Dürftig und dünn ist sie, die heutige Ausgabe der Tageszeitung...
Ein Bericht, der Marthalers Inszenierung der Offenbachoperette 'La Grande Duchesse de Gérolsheim' zum Publikumserfolg erklärt. Dabei geht das Publikum nicht wegen Marthaler hin, sondern wegen der Titelheldin Anne Sofie von Otter.
Stadtbekannte Persönlichkeiten vom Fährimaa bis zum Stadtpräsidenten dürfen ihre Wünsche und Erwartungen für das nächste Jahrzehnt äussern.
Ein paar Sätze über das politische Katastrophenjahr 2009 und die Frage: Was bringt 2010? (Liz Dessert, Hausastrologin in der Augenreiberei, hat sich an lesenswertere Prognosen gewagt).
Heute Abend werden auf RTL zwei, anstatt nur eine Stunde 'Wer wird Millionär' gesendet.
PS. Und mir fällt beim Schubladenräumen dieser Cartoon aus dem Jahre 2000 in die Hände: