Es sind einige Wochen her, als mir ein dünnes Taschenbuch im Buchladen auffällt:
Auf dem Cover ein Fuchs, der sich mit vorgestreckter Schnauze durch eine leere, milchigweisse Landschaft bewegt.
Nordische Literatur! Da werde ich schwach.
Dazu ein Autor, von dem ich noch nie gehört habe: Sjòn.
Ich kenne sie nur allzugut, diese meine Labilität, die alle guten Vorsätze ("zuerst wird der Bücherturm neben dem Bett abgebaut") dahinfahren lässt.
Aber dieses Mal nicht. Dieses Mal bleibe ich konsequent. Ich stelle mit einem leisen Bedauern ("aufgeschoben ist nicht aufgehoben") das Taschenbuch zurück ins Regal.
PS. Unterdessen ist das kleine, feine Buch gekauft.
PPS. Schuld war dieser Beitrag im zweisprachigen Blog von Frau Månsnö. Er hat mir so sehr gefallen...
PPPS. Allerseits leseschöne Herbsttage wünscht Hausfrau Hanna :)
Im Frühling am Bauernmarkt auf dem Land.
Inmitten der Marktstände hat sich ein etwa 10-jähriger Bub auf einem Mäuerchen niedergelassen und um sich etliche Tontöpfe aufgestellt, in denen kleine Pflanzen wachsen.
Ich bleibe stehen.
"Kaufen Sie mir auch eine Sonnenblume ab?" fragt mich der aufgeweckte Bub, "es ist nämlich mein Hobby, diese selbst zu ziehen. Letztes Jahr wurde eine über vier Meter hoch."
"Schade", sage ich, "aber mein Stadtbalkon ist zu wenig hoch für eine solch hohe Blume."
Der Bub sieht kein Problem in den beengten Verhältnissen: "Lassen Sie die Pflanze einfach in diesem Topf, dann wird sie nicht so gross."
Das überzeugt mich.
Nun nimmt er einen Meter hervor und misst die von mir ausgewählte Pflanze aus: "Dreissig Zentimeter! Das kostet 3 Franken. Der rote Bändel kommt noch extra dazu, und ausserdem gab das Anbinden Arbeit und war kompliziert. Macht 4 Franken!"
Der Bub weiss, was er will. Mir imponiert sein Verkaufstalent. Aber etwas teuer finde ich die 4 Franken für das Pflänzchen mit rotem Bändeli schon. Und so finden wir einen Kompromiss bei 3 Franken 50 und sind beide zufrieden...
Die Sonnenblume wächst so schnell wie eine Weide und muss umgetopft werden -
das rote Band wird weiter oben wieder festgeknüpft...
Die Sonnenblume wächst. Und wächst. Und wächst stetig weiter...
Und wäre wohl noch weiter gewachsen, wenn nicht das Glasdach Einhalt geboten hätte und sie sich hätte ergeben müssen...
PS. Unterdessen ist die Sonnenblume des Buben verblüht. Ich habe sie - so wie sie ist - sein lassen.
PPS. Die Kerne reifen heran. Und ein Meisenpaar hat seinen Futterplatz entdeckt:)
Ioannis hiess er, der griechische Tavernenbesitzer. Wir gehörten zu seinen Stammgästen in jenem Mai 1982. Jeden Abend gegen 23 Uhr, die andern Gäste waren gegangen, brachte er uns ein Glas Ouzo und setzte sich zu uns. Wir prosteten uns zu: "Jamas!"
Dann legte er die immer gleiche Musikkassette ein: 'Odes' von Vangelis und drückte auf die Taste.
Er übersetzte uns die Lieder, die Irene Papas sang.
Und wir sassen da, tranken den Ouzo leer und träumten vor uns hin.
Griechenland damals...
wenn man nicht auch die innere Welt der Bücher kennt."
Matthyas Jenny
Soeben habe ich die Tageszeitung zu Ende geblättert.
Das Meiste habe ich überflogen.
Einiges habe ich bewusster gelesen.
Den Artikel auf Seite 41 über Matthyas Jenny jedoch habe ich sehr genau gelesen.
Während des Lesens habe ich immer wieder zustimmend genickt.
Und die von mir blau hervorgehobenen Worte oben
haben mich mitten im Zentrum erreicht.
Matthyas Jenny führt übrigens im Quartier einen Buchladen und
hat seit Jahrzehnten für den städtischen Literaturbetrieb sehr viel initiiert und geleistet.
Dafür bekommt er dieses Jahr den städtischen Kulturpreis.
PS. Herzlichen Glückwunsch, Herr Jenny!
PPS. Und Danke für Ihren kleinen, mit Büchern überladenen Buchladen.
PPPS. Das Quartier wäre ärmer ohne ihn. Und ohne Sie auch!
Manchmal bin ich erstaunt, was Leute alles sammeln, und wie lange sie diese Dinge aufbewahren.
Kürzlich, bei einem Frauenfrühstück, kramte eine der Teilnehmerinnen einige Strick- und Häkelhefte aus der mitgebrachten Plastiktüte und zeigte sie in die Runde.
Sie feiere bald einen runden Geburtstag, erklärte sie. Da sei es an der Zeit, Ballast abzuwerfen. Aber um diese Zeitschriften sei es einfach zu schade. Vielleicht könne sie jemand noch gebrauchen.
Und tatsächlich. Meine Tischnachbarin angelte sich gleich deren zwei.
Auf dem einen Titelbild war ein hübsches, weibliches Model in einer Strickjacke und weich nach aussen gefönten Haaren abgebildet.
Ich blätterte das Heft durch. Dann achtete ich auf den Jahrgang:
1974.
Eine Trouvaille.
Und soooo altmodisch sah der Inhalt gar nicht mal aus.
Zeitlos irgendwie...
Beim Mittagessen mit Freunden draussen im Garten. Die Schuhe habe ich der Bequemlichkeit halber ausgezogen. Sie liegen unter dem Tisch, gehen beim Essen und Schwatzen vergessen.
Als ich sie anziehen will, finde ich nur noch den einen. Der andere ist wie vom Erdboden verschluckt.
Hinten im Garten bewegt sich etwas Helles. Der Hund. Zwischen seinen Vorderpfoten sanft eingeklemmt mein zweiter Schuh, sein Spielzeug.
"Bring ihn zurück!"
Der Hund gehorcht. Ich bin hingerissen und hätte den Moment gern festgehalten im Bild, leider war das Fotoapparätchen nicht aufnahmebereit.
"Bring doch den Schuh nochmals her, ich möchte ein Bild von dir machen."
Der Hund, der so heisst wie ein griechischer Philosoph und mindestens so klug ist, versteht mich aufs Wort, und einem Schauspieler gleich wiederholt er die ganze Szene.
"Aus den Augen aus dem Sinn!"
Tat Mutter diesen Ausspruch, wussten wir, dass Sperrgutabfuhr bevorstand. Und alle vermeintlich oder tatsächlich nicht mehr benötigten Dinge vorne an die Strasse gestellt wurden.
Soviel mütterliche Konsequenz und fokussierter Entsorgungssinn beeindruckten mich wahrscheinlich mehr, als ich wahrhaben wollte. Beinahe hätte ich nämlich meine Langspielplatten aus den Sechziger,- Siebziger-und Achtzigerjahren entsorgt vor dem letzten Umzug.
Zum Glück nur beinahe...
Denn kürzlich, an einem Sonntagnachmittag, verbrachte ich eine gute Zeit damit, die Langspielplattenschätze hervorzunehmen, die Cover zu bewundern und einige der Scheiben aufzulegen.
Georges Moustaki etwa. Seine Chansonstexte waren für mich die Bibel. Viele konnte ich auswendig, sang sie mit bei seinem Livekonzert 1973. Ma solitude. Ma liberté. Le métèque. Il est trop tard.
Als ich die Nadel an diesem Sonntag sorgfältig auf die Platte legte, knackste es erst einmal. Und dann begleitete Moustakis sanfte, melancholische Stimme ein Rauschen und Knistern.
Fast vierzig Jahre haben Spuren hinterlassen...
An Joana, die deutsche Chansonsängerin mit der herben Stimme, wurde ich erinnert.
Heller. Hirsch. Wecker. Wader.
Eine handsignierte LP: "Till Hausfrau Hanna - hälsningar, Lars-Erik Frendberg'', die ich 1979 aus den ersten Schwedenferien mitbrachte. Dank Google erfuhr ich, dass es den schwedischen trubadur immer noch gibt...
Und zum Schluss eine Reminiszenz an Rom und die Zeit dort.
Krachend, fröhlich, in die Beine fahrend: "Es lebe die Mama!"
Letzte Woche auf einer Tramfahrt ins Stadtzentrum:
Zwei Mädchen, eines etwa siebenjährig, das andere zwei, drei Jahre älter, erstürmen in Begleitung ihrer Mutter den Wagen.
Schlagartig erscheint das vorher ruhige Tramabteil atmospärisch verdichtet und um ein paar Grad aufgeheizter durch die Präsenz der beiden Mädchen.
Als Erstes balgen sich die zwei um den wichtigen Fensterplatz, wobei das Hinausschauen eher nebensächlich ist. Kaum haben sie nämlich ihren Platz ausgehandelt und sitzen, beginnen sie sich auch schon gegenseitig in die Oberarme und in die Wangen zu kneifen.
Sie hauen einander derb auf die Oberschenkel.
Sie holen tief Luft und pusten sich fast vom Sitz.
Alle Rangeleien und Aktionen werden begleitet von lautem Quietschen, Schreien und Lachen.
"Psst", sagt die Mutter. Und nochmals "psst".
Auf ihrem Gesicht sehe ich ein zärtliches Lächeln.
"Für Eltern gibt es zwei Arten von Kindern", denke ich, "ihre Kinder. Und dann alle andern Kinder..."
Etwas muss man wissen, wenn es um Schweden geht: Kinder sind wichtig!
Sie spielen im Familienorchester die erste Geige.
Das heisst nun nicht, dass sie alles dürfen. Diesen Eindruck hatte ich persönlich nie.
Aber es wird ihnen mehr Raum gewährt und verständnisvoller begegnet, als es hier oft der Fall ist.
Gestern nun las ich einen Bericht, der den Unterschied zwischen nördlicher und südlicher Mentalität deutlich macht:
Eine aus Süditalien stammende Familie war zusammen mit Freunden letzte Woche auf Städtereise in Stockholm. Die Gruppe wollte zusammen in einem Restaurant in der Altstadt zu Abend essen. Dabei benahm sich der 12-jährige Sohn auf der Strasse offenbar so unmöglich, dass dem Vater in seinem südländischemotionalen Temperament die Hand ausrutschte. Ein Zeuge des Vorfalls ("hier ist man in Schweden, hier landet man im Gefängnis, wenn man solches tut.") rief die Polizei. Der Vater wurde festgenommen und landete im Gefängnis.
Gestern Dienstag war die Gerichtsverhandlung. Der Ausgang der Verhandlung ist mir bis zu diesem Moment nicht bekannt...
Bestimmt hatte der italienische Vater keine Ahnung, dass in Schweden die körperliche Betrafung seit 1979 gesetzlich verboten ist:
"Barn har rätt till omvårdnad, trygghet och en god fostran. Barn skall behandlas med aktning för sin person och egenart och får inte utsättas för kroppslig bestraffning eller annan kränkande behandling". ("Kinderhaben das Recht auf Pflege,Geborgenheit undeine gute Erziehung. Kinder solltenmit Respekt für ihrePersönlichkeit und Eigenart behandelt werden und dürfennichtkörperlicher Bestrafung oderanderer kränkender Behandlungausgesetzt werden.")
PS. Wie denkt man wohl in Schweden über diese strenge Anwendung des Gesetzes bei einem Ausländer? Das fragt sich Hausfrau Hanna...
"Für den Uneingeweihten ist das Alter der Winter, für den Eingeweihten die Erntezeit des Lebens." (Jiddisches Sprichwort)
Das Sprichwort fand ich im Blog von Frau Wildgans. Hier.
Mich spricht es an, weil für einmal der Winter nicht Stagnation und Verfall bedeutet.
Sondern das Gegenteil.